Treibhausgasneutralität 2045 ist das im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegte Ziel. Damit bleiben nur 23 Jahre, um Stromerzeugung, Fahrzeugflotte, Gebäudewärme und Industrieprozesse auf erneuerbare Energien umzustellen. Wirtschaftliche Stärke, unternehmerisches und technologisches Wissen zur Bewältigung dieser Herausforderung sind vorhanden. Auch besitzen die auf eine Regierungsbildung hinarbeitenden Parteien offenbar den Willen, die historische Transformation mit Priorität zu forcieren und marktwirtschaftlich sowie sozialverträglich zu gestalten. Damit das gelingt, braucht es adäquate Institutionen und Verfahren, Neudeutsch: eine angemessene Klima-Governance.
Klimapolitik ist Querschnittsaufgabe: Verschiedene Sektoren müssen parallel und mit hohem Tempo treibhausgasneutral werden. Durch die Elektrifizierung aller Wirtschaftsbereiche und den anvisierten Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft nehmen die energiewirtschaftlichen Verflechtungen zu. Damit steigt der Abstimmungsbedarf zwischen den Ressorts der Bundesregierung. Bisher war die klimapolitische Koordination der Ressorts häufig nicht erfolgreich. Zwar bemühte sich das Bundesumweltministerium um Maßnahmen in allen Ressorts, traf aber oft auf wenig Enthusiasmus – insbesondere wenn das jeweilige Ministerium nicht „in der gleichen Farbe“, sondern vom Koalitionspartner geleitet wurde. Mit dem Klimaschutzgesetz wurden die Ressorts zwar verpflichtet, in ihren Sektoren die gesetzlichen Emissionsziele zu erfüllen. Doch weiterhin fehlt ein institutioneller Rahmen für die ressortübergreifende Vorbereitung und Nachsteuerung von Maßnahmen.
Mit dem Klimakabinett wurde schon 2019 vorübergehend eine effektive Struktur eingerichtet, um in kurzer Frist den Maßnahmenmix des Klimaschutzprogramms 2030 zu entwickeln. Die von der Regierung beauftragten Gutachten zeigen aber, dass die Klimaziele 2030 damit nicht erreicht werden. Zudem hat der Bundestag kürzlich die Ziele für 2030 in Reaktion auf den Klimapolitikbeschluss des Bundesverfassungsgerichts ein weiteres Mal verschärft. Die Anpassung der Maßnahmen wurde aber der nächsten Bundesregierung überlassen. Wie in dieser Ausgangslage eine erfolgversprechende Governance der Klimapolitik aussehen könnte, haben wir mit einem Autorenteam im Ariadne-Projekt erarbeitet. Hier unsere drei wichtigsten Vorschläge:
Erstens ist unerlässlich, dass eine neue Koalition trotz Differenzen über einzelne Maßnahmen die Transformation zur Treibhausgasneutralität als hoch priorisiertes und kooperatives Gemeinschaftsprojekt angeht. Auch die raffinierteste Governance kann parteipolitische Blockaden nur schwer überwinden. Eine zentrale Aufgabe des nächsten Bundeskanzlers wird sein, diese Prioritätensetzung und den kooperativen Ansatz vorzuleben und von allen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett immer wieder einzufordern.
Damit geht zweitens einher, dass das Kanzleramt eine stärkere Koordination in der klimapolitischen Planung ausübt, etwa bei der Organisation des Klimakabinetts oder der Überarbeitung des Klimaschutzplans 2030. Dafür braucht die Regierungszentrale mehr personelle Ressourcen, am besten aufgewertet in einer neuen Abteilung „Klimapolitik“ und ergänzt durch Stabsstellen beim Chef des Kanzleramtes. Der Versuchung, selbst inhaltlich Klimapolitik zu machen, muss man in der Willy-Brandt-Straße 1 freilich widerstehen – dafür wird es selbst nach einer personellen Aufstockung noch an sektoraler Tiefenexpertise mangeln, die aber in den Fachressorts besteht. Zentrale Aufgabe für ein „Klima-Kanzleramt“ ist die kraftvolle Koordination. Daran hat es in der Vergangenheit oft gefehlt, sodass Blockaden zwischen Ressorts nicht aufgelöst oder nur defizitäre Kompromisse erzielt wurden.
Drittens sollte das Klimakabinett Dreh- und Angelpunkt der deutschen Klimapolitik werden. Hier müssen Entwicklung und Einführung klimapolitischer Maßnahmen in regelmäßigen Treffen und unter Einbeziehung externer Expertise bearbeitet werden. Ständige interministerielle Arbeitsgruppen zu Querschnittsthemen (von der CO2-Bepreisung bis zur Reform von Abgaben und Umlagen) können als zentrale Knotenpunkte die ressortübergreifende Zusammenarbeit verbessern.
Eine so gestärkte Governance sollte Deutschland in die Lage versetzen, künftig zwischen Flensburg und Passau, insbesondere aber auch in Brüssel und darüber hinaus wirksamere Klimapolitik zu gestalten. Bei den Verhandlungen zum „Fit for 55“-Paket zur Reform der EU-Klimapolitik sollte die Bundesregierung mit einer Stimme sprechen und die häufigen als „German Vote“ bekannten Enthaltungen überwinden. Klar ist: Letztlich entscheidet sich im globalen Maßstab, ob die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden kann. Nur durch eine klare Governance der Klimapolitik und mit einem starken Klima-Kanzleramt kann Deutschland Treibhausgasneutralität bis 2045 erreichen sowie auf europäischer und globaler Bühne seiner klimapolitischen Verantwortung gerecht werden.
Christian Flachsland ist Professor of Sustainability an der Hertie School in Berlin und Ko-Leiter des Arbeitspakets Governance im Kopernikus-Projekt Ariadne.Nils aus dem Moore leitet das Büro Berlin des RWI; im Kopernikus-Projekt Ariadne ist er Ko-Leiter des Arbeitspakets Politikinstrumente.